Von Radaröfen haben Sie nie gehört? Auch Hydrobergbau ist Ihnen kein Begriff, ebenso wenig wie die Kohlenstaub-Lokomotive? Selbst beim Itera-Plastikfahrrad oder beim Elektropflug glimmt kein Erinnerungsfunke auf? Kein Grund zur Sorge: Fast niemand erinnert sich mehr an diese Dinge, denn es sind „gescheiterte Innovationen“, deren Existenz über kurz oder lang von der Welt vergessen wurde. In Erinnerung sind bestenfalls die angesichts verlorener Subventionsmillionen spektakuläreren Fälle, etwa die zumindest vorerst gefloppte Magnetschwebebahn Transrapid oder der 2002 wohl endgültig gescheiterte Frachtzeppelin Cargolifter, in dessen Halle sich heute immerhin vom Urlaub in den Tropen träumen lässt.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Reinhold Bauer
Gemeinsam ist all diesen gescheiterten Innovationen, dass es sich keinesfalls um völlig fantastische Projekte handelte, deren Misserfolg also vorprogrammiert war. Nicht von raketengetriebenen Erdsehnenbahnen, von Atomautos oder vom „Perpetuum mobile“ ist hier die Rede, nein, gescheiterte Innovationen beruhen auf Technologien, die grundsätzlich funktionieren und im Vergleich zur existierenden Technologie auch Vorteile bieten, die sich aber eben dennoch nicht durchsetzen konnten. Ein notwendiges Merkmal der gescheiterten Innovation ist, dass sie es bis in die Wirklichkeit geschafft hat, ein zweites, dass sie diese wieder verlassen hat, ohne das investierte Kapital hereinzuspielen. Und bevor sich Widerspruch erhebt: Selbstverständlich müsste hier korrekterweise von gescheiterten Innovationsversuchen die Rede sein, etabliert hat sich aber der Begriff der „gescheiterten Innovation“ respektive der „Failed Innovation“.
Scheitern als Regelfall
Dass das Scheitern gerne übersehen und vergessen wird, ändert nichts daran, dass der innovatorische Misserfolg und nicht etwa der Erfolg der Regelfall ist. Das geht aus sämtlichen Studien hervor, die versucht haben, den Erfolg respektive das Scheitern von Innovationsprozessen zu quantifizieren. Dabei kommt mit einiger Regelmäßigkeit heraus, dass je nach Innovationstyp und nach Branche 60 bis 90 Prozent aller Vorhaben scheitern. Und schon darum wird in programmatischen Veröffentlichungen zur Technikgeschichtsschreibung seit gut einem halben Jahrhundert mit einiger Regelmäßigkeit gefordert, dass sich die historische Forschung stärker mit der „Technik der Verlierer“, also mit gescheiterten Innovationen auseinandersetzen müsse. Sehr viel geholfen hat das bisher nicht, obwohl das Scheitern nicht nur Einblicke in die „Anatomie des Misslingens“ verspricht, sondern auch eine andere Perspektive auf den historischen Prozess zu eröffnen vermag.
Plastikfahrrad verlangte sozialen Mut
Damit nun zu einem kurzen Blick auf wenigstens zwei Fallbeispiele: Das bereits erwähnte, 1982 unter dem Namen „Itera“ auf den Markt gebrachte Kunststofffahrrad ging auf Freizeitbasteleien einiger Volvo-Ingenieure zurück, die ein preiswertes, leichtes und dabei haltbares Rad entwickeln wollten.
Tatsächlich erwies sich das Plastikrad als robust und bequem, bot zudem den Vorteil, aus nur wenigen Einzelteilen zusammengesetzt zu sein. Um aber seinem Rahmen die erforderliche Steifheit zu verleihen, musste das Kunststoff-Spritzgussteil ungewöhnlich dick ausfallen. Herstellungsbedingt waren zudem alle Verstrebungen deutlich zu sehen.

Potenzielle Käufer:innen empfanden das zukunftsweisende Rad als altmodisch und klobig. Dem Plastikmaterial haftete das Image des billigen Ersatzes an und das sportliche Design, das Käufer:innen Anfang der 1980er-Jahre von einem futuristischen Rad erwarteten, konnte das Kunststoffmodell nicht bieten. Last, but not least verlangte das auffällige Plastikrad „sozialen Mut“, da es seine Nutzer:innen der Lächerlichkeit preiszugeben drohte. Niemand wollte das hässliche Rad also haben, so modern es auch sein mochte.
Wie die Mikrowelle zunächst floppte

Dass nicht jede gescheiterte Innovation zwangsläufig für immer von der Bildfläche verschwindet, kann das zweite Beispiel verdeutlichen. Der erste Versuch nämlich, Mikrowellenherde auf den Markt zu bringen, schlug in den 1950er-Jahren gründlich fehl.
Bei der Mikrowelle handelt es sich um eine zivile Technologie, die unmittelbar als „Spin-off“ aus der Rüstungsforschung hervorging. Im Kern besteht eine Mikrowelle genau wie ein Radargerät aus einem pulsierenden Mikrowellensender, dem sogenannten Magnetron. Mit dessen Hilfe wird im metallischen Garraum des Ofens ein Strahlungsfeld hoher Dichte erzeugt. Die ehemalige US-amerikanische Rüstungsfirma Raytheon arbeitete während des Zweiten Weltkriegs intensiv an der Verbesserung und Verbilligung von Magnetron-Röhren für Radargeräte. Nach dem Krieg suchte die Firma dann nach neuen Anwendungsfeldern für ihre Technologie und brachte so bereits 1947 den ersten Mikrowellenofen auf den Markt.
Ein kommerzieller Erfolg war diese erste Mikrowelle allerdings nicht: Der mit 2000 US-Dollar vergleichsweise teure, kühlschrankgroße Apparat konnte nur an wenige Großküchen verkauft werden; der Einzug in die Privathaushalte gelang ihm nicht. Dass Raytheon ihrem „Radarofen“ den wenig küchen- und familientauglichen Namen „RadaRange“ gab, trug nicht eben zur Marktgängigkeit des neuen Produktes bei; zu deutlich war dem Gerät seine militärische Herkunft noch anzumerken. Die Produktion musste jedenfalls nach einigen Jahren eingestellt werden. Mitte der 1950er-Jahre handelte es sich somit bei der Mikrowelle um eine gescheiterte Innovation.
Erfolg in einer veränderten Welt
Es bedurfte eines zweiten Anlaufs, um den neuen Ofen zum Erfolg werden zu lassen. Seit den 1960er-Jahren bemühten sich vor allem japanische Unternehmen um eine Verkleinerung und Verbilligung der Mikrowelle. Sie schufen damit die Voraussetzungen für den späteren Erfolg der Geräte, die ihren eigentlichen Siegeszug allerdings erst seit den 1980er-Jahren antraten. Für diesen Erfolg hatte sich auch die Welt erst einmal ändern müssen: Der kommerzielle Durchbruch gelang der Mikrowelle in einer neuen Gesellschaft mit veränderten Familienstrukturen und voller Singlehaushalte. Erst in dieser veränderten Welt harmonierte die Technik mit ihrem Nutzungsumfeld.
Das Beispiel Mikrowelle vermag zu verdeutlichen, dass Aussagen über das Scheitern stets nur Aussagen mit begrenzter Reichweite sind: Scheitern kann stets nur für einen bestimmten Zeitraum und zudem nur für einen bestimmten geografischen oder kulturellen Raum eindeutig diagnostiziert werden. Eine einmal gescheiterte Technologie kann also zu einem späteren Zeitpunkt oder in einem anderen Nutzungsumfeld durchaus erfolgreich werden.
Tabuthema Scheitern
Unser arg knapper Einstieg in die Welt der gescheiterten Innovationen könnte im Grunde fast beliebig fortgesetzt werden, der Friedhof fehlgeschlagener Entwicklungen ist nämlich zum Bersten voll. Wie eingangs skizziert, bleibt das innovatorische Scheitern aber bisher eher ein Nischenthema. Das mag einerseits damit zusammenhängen, dass Innovation immer noch gedankenlos mit Erfolg gleichgesetzt wird, zumal das immer noch gängige Fortschrittsparadigma eine andere Interpretation kaum zulässt. Damit ignoriert man nicht nur die im Innovationsprozess stets vorhandenen Risiken, man ignoriert auch, dass selbst erfolgreiche Innovationen keinesfalls immer und für alle Betroffenen durchgehend positive Ergebnisse haben. Unter dem Einfluss dieses Denkens droht aber die Forderung nach steigender Innovativität zur Leerformel zu verkommen. Der zweite Grund für die geringe Aufmerksamkeit, die gescheiterten Innovationen bisher geschenkt wurde, ist eher praktischer Natur: Firmen haben wenig Interesse daran, ihre Archive für die Untersuchung von Fehlschlägen zu öffnen. Scheitern bleibt tabuisiert und trotz zum Teil anderslautender Bekundungen sprechen Unternehmen über ihr Scheitern de facto nicht gerne.
Scheitern als Chance
Dabei lohnt sich die Beschäftigung mit dem Scheitern. Zum einen, weil sie Einsichten in die Ursachen innovatorischer Fehlschläge ermöglicht. Innovationsversuche scheitern häufig an ganzen Problembündeln, wobei bestimmte Ursachen erwartungsgemäß eine große Rolle spielen, etwa technische Schwierigkeiten, wirtschaftliche Faktoren wie Anschaffungs- und Nutzungskosten oder die spezifische Konkurrenzsituation.
Deutlich wird aber auch, dass sich die Ursachen des Scheiterns nicht ausschließlich auf diese „harten“ Faktoren reduzieren lassen. Zu erkennen sind Problemstränge, die sich aus dem jeweiligen Innovationszeitpunkt, Fehlprognosen der Marktentwicklung, einer falschen Einschätzung der Bedürfnisse von Nutzer:innen, zu hohen Anpassungserfordernissen an das Nutzungsumfeld oder – genereller – mangelndem Verständnis für die Verwendungskultur ergeben können. In diesem Sinne waren sowohl Itera wie RadaRange zu radikale Innovationen, deren relative Vorteilhaftigkeit sich potenziellen Nutzer:innen nicht erschloss.

Die Analyse von Fehlschlägen bietet zum anderen (Technik-)Historiker:innen die Chance, den Charakter technischen Wandels deutlicher zu akzentuieren. Die Entwicklung neuer Technologien – ob letztlich erfolgreich oder nicht – beruht immer auf einer Art Handeln unter Informationsmangel, unter unklaren Bedingungen. Unsicherheiten sind angesichts dieser unklaren Bedingungen „endemisch“, das Risiko des Scheiterns ist immer gegeben. Bei erfolgreichen Innovationen droht der Erfolg selbst den Blick auf diese unvermeidbaren Entstehungsbedingungen zu verstellen.
Innovation ist kein gerader Weg
Eine Geschichtsschreibung, die sich überwiegend mit der erfolgreichen Verwertung und Umsetzung technischer Ideen beschäftigt, entwirft zudem zwangsläufig ein verzerrtes Bild des historischen Prozesses. Der Eindruck entsteht, die technische Entwicklung sei einem geraden, rationalen Pfad aus der Vergangenheit in die Gegenwart gefolgt. Tatsächlich zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf praktisch jeden beliebigen Teilbereich der Technik, dass es diesen unterstellten geraden Entwicklungsweg nicht gegeben hat. Die Vorstellung, vermeintlich objektive technikwissenschaftliche Kriterien, ökonomische Rationalität und die „Weisheit des Marktes“ würden garantieren, dass sich immer die – in welchem Sinne auch immer – „beste“ Technik durchsetzt, muss jedenfalls als reiner Mythos zurückgewiesen werden.
Linktipps
In dem Video „Gescheiterte Innovationen“ erklärt der Autor, was wir aus den Technologieflops vergangener Zeiten lernen können und wie wir mit dem Scheitern umgehen sollten: https://koerber-stiftung.de/mediathek/gescheiterte-innovationen
Das Museum of Failure zeigt über 200 gescheiterte Produkte aus der ganzen Welt, ein Großteil davon wird detailliert auf der Website vorgestellt: https://museumoffailure.com
Zu Gast im Podcast »FUTURE CANDY« spricht der Autor unter anderem über die fünf Typologien des Scheiterns: https://www.futurecandy.com/podcast-gescheiterte-innovationen

Prof. Dr. Reinhold Bauer
Prof. Dr. Reinhold Bauer leitet die Abteilung Wirkungsgeschichte der Technik am Historischen Institut der Universität Stuttgart. Neben der historischen Innovationsforschung interessiert er sich insbesondere für Mobilitätsgeschichte. Er hat verschiedene Bücher und Aufsätze unter anderem zum Thema Scheitern veröffentlicht.