Kennen Sie den Pygmalion-Effekt? Er wurde in den 1960er-Jahren von den Psychologen Robert Rosenthal und Lenore Jacobson beschrieben. Sie erklärten Lehrkräften, dass sie in diesem Schuljahr eine besonders intelligente Klasse bekämen. Im Verlauf des Schuljahres zeigten die Schüler:innen tatsächlich signifikante Leistungssteigerungen und hatten bessere Noten als alle anderen. Was die Lehrkräfte nicht wussten: Die Schüler:innen wurden ganz unabhängig von ihren Leistungen zusammengewürfelt. Weil die Lehrkräfte ihnen aber mehr zutrauten und voller Vertrauen Bestleistungen erwarteten, stieg die Lernkurve der Schüler:innen.
Ein Beitrag von Silke Panten
Im ersten Teil der Reihe über TED Talks ging es um Gamification-Ansätze im Klassenzimmer, um den „Schüler“ ChatGPT und darum, wie künstliche Intelligenz das Bildungssystem bereichern kann. Inzwischen ist das TED-Universum um einige weitere inspirierende Talks zum Thema Bildung angewachsen – und auch ältere Talks haben nichts an Aktualität verloren, denn der Wandel der Bildungslandschaft scheint ein immerwährendes Thema zu sein. Grund genug, immer mal über den eigenen Tellerrand zu schauen und sich für den eigenen Unterricht inspirieren zu lassen, etwa mit einem neuen Blick auf Tests und Klassenarbeiten.
Was das Problem an Klassenarbeiten ist
Tanishia Lavette Williams ist Bildungspionierin und kombiniert sozialwissenschaftliche Methoden, um die Ursachen und Folgen von insbesondere ethnischen Ungleichheiten im Bildungswesen zu untersuchen. Zugegeben, ihr Talk „The billion-dollar problem in education“ bezieht sich stark auf das amerikanische Bildungssystem, doch es gibt durchaus ein paar Erkenntnisse, die sich auch auf das deutsche Schulsystem übertragen lassen.
Williams’ größte Erkenntnis: Lehrkräfte sind bessere Pädagog:innen, wenn sie ihre Schüler:innen keinen benoteten Klassenarbeiten aussetzen müssen. Und auch Schüler:innen bringen in testfreien Zeiten bessere Leistungen. Tests sind lediglich eine Momentaufnahme, die stark beeinflusst werden kann von allen möglichen Ängsten, sei es Prüfungsangst, die Angst zu versagen, oder die Angst, nicht gut genug zu sein. Doch die Lehrpläne sehen Schuljahr für Schuljahr eine bestimmte Anzahl an Klassenarbeiten vor – wer die Fragen nicht beantworten kann, bekommt eine schlechte Note, ergo eine schlechtere Ausbildung, ergo einen schlechter bezahlten Job. Hinzu kommt, dass Schüler:innen das Vertrauen in und den Glauben an sich selbst verlieren und tatsächlich irgendwann denken, sie seien nur so gut, wie es ihre Note auf ihrem Zeugnis zeigt.
Williams moniert diese Art von Stoffvermittlung und -abfrage. „Was wir gerade tun, bildet keine Denker:innen aus. Doch wir brauchen Tüftler:innen und Denker:innen.“ Sie regt an, nicht jedes Kind auf die gleiche Art und Weise zu testen, insbesondere wenn so die individuellen Begabungen des Kindes nicht zum Vorschein kommen. Ihre Vision ist es, die Lehrkräfte ihre Arbeit so erledigen zu lassen, wie sie es als Fachkräfte für richtig halten. Um Kinder auszubilden, die voller Vertrauen in sich selbst und voller Zuversicht hinausgehen, um die Probleme der Welt zu lösen. „Denn die Innovationen, die wir für morgen brauchen, müssen erst noch erdacht werden. Und dies könnte durchaus in Ihrem Klassenzimmer unter Ihrer Aufsicht beginnen.“
Wie Videospiele das Lernen verbessern können
Weltweit gibt es etwa drei Milliarden Videospieler:innen. Videospiele nutzen auf natürliche Weise unsere Lernmechanismen: Sie lenken unsere Aufmerksamkeit und überwachen unseren Fortschritt, während wir auf ein klares Ziel hinarbeiten. Sie kombinieren komplexe Geschichten mit Lerninhalten und nutzen künstliche Intelligenz, um Schwierigkeit und Balance zu gewährleisten. Kris Alexander, Professor für Videospieldesign und begeisterter Gamer, regt in seinem Talk „How video games can level up the way you learn“ an, diese Elemente auch in der traditionellen Bildung einzusetzen.
Schüler:innen nehmen Informationen grundsätzlich über drei Kanäle auf: Audio, Text und Video. Je mehr dieser Kanäle verwendet werden, desto höher sind die Lernerfolge. Damit keine Langeweile aufkommt, sollten Lehrkräfte sicherstellen, dass sich alle Kanäle ergänzen. Alexander war als Schüler mit genau diesem Problem konfrontiert – der Vortrag seines Lehrers langweilte ihn. Er löste es, indem er während des Unterrichts Tetris spielte und die Stimme seines Lehrers quasi als Soundtrack für sein Videospiel benutzte. (Natürlich wurde er dabei erwischt – was dann geschah, erzählt er auf sehr humoristische Weise.)
Alexander zufolge unterstützen Videospiele das Lernen auf dreierlei Weise:
- Videospiele sind eine komplexe Mischung aus Audio, Text, Video und Interaktivität, die die Konzentration steigern können.
- Videospiele machen Spaß und können daher die Motivation steigern.
- Videospiele können unsere Aufmerksamkeit bündeln und uns klare Ziele mit nachweisbaren Ergebnissen vorgeben.
Natürlich lautet die Forderung nicht, herkömmlichen Unterricht durch Videospiele zu ersetzen. Doch bestimmte Komponenten können auf kreative Weise durchaus in den Unterricht übertragen werden und ihn bereichern. Diesem Thema ist übrigens auch die Stiftung Digitale Spielekultur im Rahmen des Berliner Modellprojekts „Games machen Schule“ nachgegangen und kam zu spannenden Ergebnissen.
3 Strategien, um dem Lehrkräftemangel zu begegnen
Schuldirektor Matthew Ebert zeigt in seinem Talk „3 strategies to address the teacher shortage crisis“, dass Deutschland mit dem Lehrkräftemangel nicht allein ist. Als einen Grund nennt er die Überlastung der Lehrkräfte, da sie in einem einzigen Beruf so viele Rollen einnehmen müssen, dass es gleich für mehrere Karrieren reicht. Er präsentiert drei Strategien, mit denen Schulen veraltete und ineffektive Systeme umgestalten können, um eine Arbeitskultur zu schaffen, die ihr wertvollstes Gut stärkt und fördert: die Lehrer.
Strategie 1: berufliche Entwicklung neu denken. Anstatt Lehrkräfte zu Fortbildungen zu schicken, die sie sich nicht ausgesucht haben und die langfristig keine Resultate zeigen, regt er regelmäßige Teamsitzungen an. Hier können sich die Lehrer:innen austauschen, sich gegenseitig inspirieren und gemeinsam Probleme lösen, und zwar ganz praktisch, vertrauensvoll und auf Augenhöhe. Und hier kann auch entschieden werden, wie sich jede einzelne Lehrkraft individuell weiterentwickeln kann – persönlich und beruflich.
Strategie 2: ein Kommunikationstool etablieren. Lehrkräfte wollen sich austauschen und es ist wichtig, dass sie das tun. Tools wie Slack können dabei helfen, dies auch außerhalb regelmäßig stattfindender Teamsitzungen zu machen. Zudem hilft solch ein Tool auch jenen Personen, die sich von Angesicht zu Angesicht nicht überwinden können, über Ängste, Probleme oder Ideen zu sprechen, und zwar jederzeit.
Strategie 3: vermeiden, was vermieden werden kann. Wenn bestimmte Teamsitzungen nicht abgehalten werden müssen, weil es keine akuten Themen gibt – dann muss man sie auch nicht abhalten.
Mit diesen Strategien lassen sich sicher nicht alle Probleme lösen, denen Lehrkräfte ausgesetzt sind. Doch man kann nicht aus der Krise finden, indem man die gleichen Strategien beibehält, die das Bildungssystem erst in diese Krise gebracht haben. Und wer weiß? Vielleicht greift ja auch hier der Pygmalion-Effekt. Denn Menschen, die sich wertgeschätzt und inspiriert fühlen, neigen dazu, höhere Erwartungen an sich selbst zu haben und sich mehr Vertrauen entgegenzubringen.