Skip to content

Schneller als das Licht?

Es gibt Teilchen, die sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen. Ob das auch im Vakuum gilt, ist allerdings noch reine Spekulation.

Boshafte Zeitgenossen führen physikalische Laien manchmal mit einer Wette aufs Glatteis, indem sie behaupten, dass Überlichtgeschwindigkeiten schon häufig gemessen wurden. Dies stimmt tatsächlich, denn zwar ist die Lichtgeschwindigkeit eine universale Naturkonstante (knapp 300.000 Kilometer pro Sekunde) – aber nur im Vakuum. Wenn Licht durch transparente Stoffe wie Glas oder Wasser strahlt, wird es langsamer. Man kann die Lichtgeschwindigkeit in Materie sogar auf Schrittgeschwindigkeit abbremsen. In vielen Medien, auch Eis, Wasser oder Luft, können Teilchen wie Elektronen oder Neutrinos dann schneller sein als das Licht.

Dabei senden sie eine schwache Strahlung aus. Das hat der russische Physiker Pawel A. Tscherenkow 1934 vorausgesagt, wofür er 1958 den Physik-Nobelpreis erhielt. Dieses bläuliche Leuchten ist ein Pendant zu dem Überschallknall, den ein Düsenflugzeug beim Durchbrechen der Schallmauer erzeugt. Die Tscherenkow- Strahlung ist zuweilen sogar mit bloßem Auge sichtbar: beispielsweise in Abklingbecken von Kernreaktoren, ausgelöst von der Radioaktivität nuklearer Brennstäbe.

Warum es nachts nie ganz dunkel ist

Tscherenkow-Strahlung entsteht auch in der Erdatmosphäre, erzeugt durch Partikel der kosmischen Strahlung sowie durch Gammaquanten, die millionenfach energiereicher sind als sichtbares Licht. Treffen sie einen Atomkern in der Luft, kommt es zu einer Kaskade aus Tausenden von Sekundärteilchen, die Tscherenkow- Strahlung emittieren können.

Ein kleiner Teil der natürlichen Helligkeit des Nachthimmels müsse von solchen Lichtblitzen stammen, meinte 1947 der Physik-Nobelpreisträger Patrick Blackett. Diese Vorhersage überprüften William Galbraith und John Jelley 1952 auf einem Feld beim südenglischen Dorf Harwell. Dort stellten sie eine innen schwarz angemalte Mülltonne auf, in der sie einen 25-Zentimeter-Parabolspiegel eingebaut hatten sowie eine Röhre, die einfallendes Licht verstärken sollte. Tatsächlich maßen sie ultrakurze Blitze im Minuten-Takt. Dass die Tscherenkow-Strahlung immer dann aufleuchtete, wenn auch geladene Teilchen aus dem All eintrafen, wiesen die Physiker mit angeschlossenen Geiger- Müller- Zählern nach.

Bis zu Gammastrahlen-Teleskopen war es allerdings noch ein weiter Weg. Das erste Tscherenkow-Teleskop baute Trevor Weekes nach jahrelanger Entwicklungsarbeit zusammen mit einigen Kollegen am Whipple-Observatorium auf dem Mount Hopkins in Arizona. Sein 10-Meter- Spiegel bestand aus zahlreichen Segmenten – bis heute ist das die Grundlage dieses Teleskop- Typs. Es dauerte weitere drei Jahre, bis Weekes 1989 erstmals Gammastrahlung maß: vom 7.000 Lichtjahre entfernten Krebs- Nebel im Sternbild Stier, der aus der beobachteten Supernova 1.054 hervorging.

Die bläulichen Blitze sind auch das Licht der Erkenntnis für den IceCube-Detektor am Südpol. Dort werden sie im unterirdischen Eis von energiereichen Neutrinos und anderen Partikeln ausgelöst und nicht von Spiegeln gemessen, sondern von speziellen Lichtsensoren, die bis zu 2,5 Kilometer tief ins Antarktis-Eis versenkt worden sind. Weil die Flugrichtungen eines Neutrinos, seines Sekundärteilchens und der Tscherenkow-Strahlung nahezu identisch sind, lässt sich ungefähr die Position am Himmel errechnen, aus der das Neutrino stammt.

Afrikanische Rekordastronomie: Das größte Observatorium für Tscherenkow-Strahlung ist zurzeit H.E.S.S. (High Energy Stereoscopic System) in Namibia.  Es wurde unter führender Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg errichtet. Seit 2003 spähen vier 13-Meter-Spiegel in den  Himmel, 2012 kam noch ein 28-Meter-Teleskop dazu. H.E.S.S hat in fast 3.000 Beobachtungsstunden über 80 Gamma-Quellen entdeckt – mehr als alle  anderen Tscherenkow-Teleskope zusammen.

Tachyonen – überlichtschnelle  Geisterteilchen

Die Existenz überlichtschneller Teilchen, die sich durch Tscherenkow-Strahlung offenbaren, widerspricht nicht Albert Einsteins Spezieller Relativitätstheorie, wonach sich Materie nie schneller als die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit bewegen kann. Denn die Naturkonstante c ist für den leeren Raum definiert.

Doch rein theoretisch könnte es auch Teilchen geben, die immer schneller als c sind. Für sie hat der Physiker Gerald Feinberg von der Columbia University in New York 1967 den Namen Tachyonen geprägt (von griechisch „tachys“: schnell). Schon fünf Jahre vorher formulierten Olexa- Myron P. Bilaniuk und zwei Kollegen die Hypothese, dass es Partikel geben könnte, die sich ab dem ersten Moment ihrer Entstehung in einer subatomaren Teilchenreaktion stets überlichtschnell bewegen. (Und sogar der römische Dichter Lukrez hatte bereits über Teilchen spekuliert, die schneller als das Licht aus der Sonne flitzen.)

Auch Tachyonen stehen nicht im Widerspruch zur Speziellen Relativitätstheorie. Diese besagt nur, dass es für Körper mit Masse unmöglich ist, c zu erreichen, egal wie viel Energie und Zeit man dafür einsetzt. Die Gleichungen der Relativitätstheorie lassen sogar ein Schlupfloch für überlichtschnelle Teilchen – falls deren Ruhemasse m imaginär ist, wie Jakov P. Terleckij bereits 1960 erwogen hat. Sie wäre dann weder positiv noch negativ. Mathematisch gälte weder m > 0 noch m < 0, sondern m2 < 0. (Dahinter steckt die imaginäre Zahl i, für die gilt: i2 = -1.) Tachyonen sind nicht die ersten Teilchen, deren Existenz aus theoretischen Gründen vorhergesagt werden konnte, bevor ihr experimenteller Nachweis glückte. Nobelpreis-gekrönte Beispiele sind Positro nen, Anti pro tonen, Omega- Minus- Teilchen, Z- und W-Bosonen, die drei Sorten von Neutrinos und die sechs Sorten von Quarks. Freilich kamen sie alle bereits in einer ausgearbeiteten physikalischen Theorie vor oder ergaben sich, wie im Fall der Neutrinos, als Konsequenzen experimenteller Befunde.

Seltsame Eigenschaften

Tachyonen wären nur dann real, wenn ihre Geschwindigkeit die des Lichts übertrifft. Zwar ist die Ruhemasse der Tachy onen imaginär, doch befinden sie sich niemals in Ruhe. Ihre tatsächliche Masse hat aufgrund der Überlichtgeschwindigkeit stets einen reellen Wert. Den erreichen sie beim 1,414fachen von c. Das ist gewissermaßen die natürliche Geschwindigkeit eines Tachyons.

Wenn es Energie verliert, wird es nicht langsamer, sondern schneller. Wenn man es beschleunigen will, muss man also versuchen, es aufzuhalten. Geht die Energie gegen null, wird seine Geschwindigkeit unendlich. Das Tachyon wäre dann in einem „transzendenten Zustand“, also quasi überall zugleich.

Besonders kurios: Die Zeit der Tachyonen läuft rückwärts. Aus unserer Perspektive bewegen sie sich also aus der Zukunft in die Vergangenheit. Diese Eigenschaft zeigt nicht nur deutlich, wie relativ die Zeit ist, sondern könnte auch frappierende Konsequenzen haben: Wenn Tachyonen mit normaler Materie wechselwirken, könnte man mit ihnen im Prinzip Signale zeitlich rückwärts übertragen – beispielsweise Morse-Zeichen in die Vergangenheit senden oder mit einem Tachyonen-Telefon sich selbst die Lottozahlen der nächsten Ziehung mitteilen.

Allerdings ist es unklar, ob Tachyonen mit Licht oder unterlichtschnellen Teilchen interagieren. Nur so könnten sie sich verraten (und womöglich genutzt werden, etwa für Raketenantriebe).

Wenn Tachyonen elektrisch geladen wären, würden sie Tscherenkow- Strahlung aussenden. Doch ein solcher Nachweis ist trotz intensiver Suche (und einiger Falsch mel dun gen) niemandem gelungen. Ein Energieverlust bei Teilchen- Umwandlun gen könnte ein indirektes Indiz für Tachyonen sein, oder es kommt zu Streu- Effekten, wenn sie der Starken oder Schwachen Kernkraft unterliegen. Ersteres ist experimentell inzwischen ausgeschlossen. Zweiteres erscheint noch möglich, wenn die imaginäre Ruhemasse der Tachyonen sehr gering wäre. So haben Alan Kostelecký von der Indiana University in Bloomington und seine Kollegen 1985 vorgeschlagen, dass die bekannten Neutrinos überlichtschnell seien, also Tachyonen wären. Die seither gewonnenen teilchen- und astrophysikalischen Daten sprechen allerdings dagegen.

Rüdiger Vaas


Über den Autor: Rüdiger Vaas ist Philosoph, Publizist, Dozent  sowie Astronomie- und Physik-Redakteur  beim Monatsmagazin bild der wissenschaft,  Mitherausgeber des Fachbuchs The Arrows of Time (Springer) und Autor von 14 Büchern.


Literaturtipps: Bücher von Rüdiger  Vaas zum Thema (alle  KOSMOS Verlag,  Stuttgart):

Tunnel durch Raum  und Zeit. Schwarze  Löcher, Zeitreisen und  Überlichtgeschwindigkeit. (2018, 8. Aufl.)

Jenseits von Einsteins Universum.   Von der Relativitätstheorie zur   Quantengravitation. (2017, 4. Aufl.)

 

Hier wartet spannendes Download-Material auf Sie – exklusiv für registrierte Nutzer:innen
des MINT Zirkels. Die Registrierung ist schnell erledigt und natürlich kostenlos.

Jetzt schnell registrieren & downloaden!

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mehr davon finden Sie in unserer Lehrerzeitung MINT Zirkel! Mit dem digitalen MINT Zirkel-Abo erhalten Sie regelmäßig neue Ausgaben der digitalen Lehrerzeitung – vollgepackt mit praxisnahen Fachartikeln, didaktisch fundierten Materialien und exklusiven MINT Zirkel-Zusatzmaterialien. Speziell für Lehrkräfte im MINT-Bereich.

Beitrag teilen:

Facebook
X
LinkedIn
Pinterest
XING
WhatsApp
Email

Ähnliche Beiträge

Erde gibt den Blick frei auf zwei andere Planeten
12. November, 2025
Inzwischen ist der Nachweis von Planeten bei anderen Sternen Routine. Nun können Superteleskope sogar deren Atmosphären analysieren – und vielleicht bald Lebensspuren entdecken.
Junger Mann, der eine große Drohne in beiden Händen hält
5. November, 2025
Günstig, leicht, sensibel: Das Sensorsystem LUCY ist dem menschlichen Gehör haushoch überlegen. Befestigt an Drohnen detektiert es Hilfeschreie von Verschütteten und kann so dabei helfen, Leben zu retten. Entwickelt hat das System die Forschungsgruppe von Dr. Marc Oispuu am Fraunhofer-Institut FKIE in Wachtberg.
Nutria schwimmt im Wasser.
29. Oktober, 2025
Wie fängt man Sonnenlicht am besten ein? Das ist nicht nur bei der Aufstellung von Photovoltaikanlagen wichtig, sondern auch für die Sonnenenergiewandler der Pflanzen, also bei ihren Blättern und deren Verzweigung und Ausrichtung. Es ist nicht vorteilhaft, wenn sie sich gegenseitig im Wege stehen und beschatten. Die Blattstellung folgt einem geometrischen Muster, das, mathematisch betrachtet, mit Spiralen, Selbstähnlichkeit, Fibonacci-Zahlen und dem Goldenen Winkel zu tun hat.
Junger Schüler schreibt eine Matheaufgabe, neben ihm ein Taschenrechner
21. Oktober, 2025
„Der Rest ist Hausaufgabe.“ Nicht originell, dieser Spruch, aber zehn Minuten vor Stundenende wirksam. Zumindest, wenn man als Lehrkraft seine Ruhe haben möchte. Aber hilft eine solche Hausaufgabe den Schüler:innen auch, den Inhalt des Unterrichts wirklich zu verstehen?
Antik anmutende Grafik mit einem alten weißbärtigen Mathematiker, der etwas aufschreibt
15. Oktober, 2025
In der Mathematik gibt es berühmte Fragen, die erst nach Jahrhunderten vergeblicher Versuche beantwortet wurden. Es gibt jedoch auch Probleme, die sich schließlich als beweisbar unlösbar erwiesen. Ihre Geschichte offenbart einiges über den Wandel, den die Mathematik in der Moderne durchmachte.
Autor Rainer Schall erklärt Kindern draußen etwas zum Thema Wald und Natur
7. Oktober, 2025
Draußen zu lernen heißt, die Natur mit allen Sinnen zu erleben. Eine Waldtour bietet Schulklassen unzählige Gelegenheiten zum Entdecken, Staunen und gemeinsamen Erforschen. Die jungen Waldforscher:innen können den Wald frei erkunden, ihre Beobachtungen teilen, gefundene Waldschätze zeigen und über spannende Waldphänomene diskutieren. Es ist ein Lernen, das verbindet und neugierig macht. Wie so ein Ausflug ins Waldglück aussehen kann, zeigt dieser Beitrag.
Kind aus der Vogelperspektive fotografiert, das Mathe lernt
29. September, 2025
Das Schuljahr ist wieder gestartet. Für Millionen Schüler:innen, Lehrkräfte und Eltern fühlt sich der Alltag jetzt, nach dem Sommer, ähnlich an wie der davor. Es gibt wieder: frühes Aufstehen, verstopfte Schultoiletten, Formeln, Vokabeln und unrenovierte Gebäude. Für alle, die dabei Gefahr laufen, in den Trott vom letzten Jahr zu verfallen, hilft vielleicht der Blick auf zwei wissenschaftliche Highlights der letzten Zeit.
Lehrer und Schüler arbeiten mit LEGO Naturwissenschaften
Gesponserte Inhalte
24. September, 2025
Wer schon einmal eine Grundschulklasse in Naturwissenschaft unterrichtet hat, kennt das: Manche Kinder rufen ihre Ideen begeistert in den Raum, andere diskutieren miteinander, wieder andere sind so vertieft, dass sie die Zeit vergessen.
Zwei Jugendliche sitzen an einem Schultisch und lesen etwas von einem Zettel ab
23. September, 2025
Der weitverbreitete Mythos, Bildungseinrichtungen seien politikfreie Räume, entspringt der Annahme, politische Themen seien für Schüler:innen zu komplex. Diese Vorstellung ignoriert jedoch die Realität, denn das Leben der Kinder und Jugendlichen ist keineswegs unpolitisch. Sie sind nicht nur direkt von politischen Entscheidungen betroffen, sondern werden auch ständig mit gesellschaftlichen und historischen Themen konfrontiert, ohne diese immer als solche zu erkennen.
Technikmuseum Sinsheim
Gesponserte Inhalte
18. September, 2025
Lust auf eine Reise in die aufregende Welt der Technik? Die Technik Museen Sinsheim Speyer bieten Schülerinnen und Schülern aller Altersstufen spannende Einblicke in Technikgeschichte, Luft- und Raumfahrt sowie Automobilität. Auf über 200.000 m² können sie historische und ikonische Flugzeuge, Oldtimer, Lokomotiven, Nutzfahrzeuge und imposante Großexponate entdecken – vom Maschinenraum eines U-Boots über die Concorde bis zu Europas größter bemannter Raumfahrtausstellung.
Dunkelblauer Laufkäfer, der von Ameisen transportiert wird
9. September, 2025
Selbst wenn manchem Lesermanchen Menschen Ameisen in Haus und Garten lästig geworden sind, haben es diese Insekten nicht verdient, dass sie schnell und unbedacht als Schadinsekten eingeordnet werden. Das gilt erst recht für die Waldameisen, die in Haus und Garten gar nicht vorkommen. Unterstützen wir die Waldameisen, indem wir ihren Lebensraum erhalten oder ihn, wo er bereits verloren ist, neu erschaffen, tun wir auch uns Menschen und unser aller Zukunft einen größeren Gefallen, als die meisten von uns ahnen.
Junge, der angestrengt eine Klausur schreibt
3. September, 2025
Prüfungen gehören zum Schulalltag – doch wie zeitgemäß sind sie wirklich? Immer mehr Schulen erproben neue Formate der Leistungsmessung, die weniger Druck erzeugen und stattdessen Lernprozesse sichtbar machen. Im Gespräch mit dem MINT Zirkel erklärt Lehrer und Speaker Murat Alpoğuz, warum sich die Prüfungslandschaft verändern muss, ob ein Bewerten ohne Noten funktionieren würde und wie Schulen näher an die Lernrealität der Schüler:innen rücken können.

Vielen Dank, dass Sie sich für den MINT Zirkel interessieren. Registrieren Sie sich jetzt, um Zugriff auf alle Zusatzmaterialien zu erhalten oder melden Sie sich mit Ihren bestehenden Zugangsdaten zu Ihrem “Mein MINT Zirkel-Account“ an.