Plant for the planet – Fermi-Aufgaben zur Veranschaulichung der CO2-Emissionen

200 Milliarden Tonnen Kohlenstoff: Soviel Kohlenstoff enthält die Atmosphäre heute (Stand 2016: 400 ppm CO2) mehr als in vorindustrieller Zeit. Die Klimakrise ist für viele Menschen ein nur schwer zu fassendes Phänomen. Rechnungen im Stil von Fermi-Aufgaben können daher für die Aufklärungsarbeit an Schulen von großem Nutzen sein.

Eine Auseinandersetzung mit der Klimakrise erhöht die Chance für eine nachhaltige Verhaltensänderung. Für die Millionen und Milliarden Tonnen von CO2, um die es geht, fehlen uns leider Alltagserfahrungen.

Fermi-Aufgaben zur Veranschaulichung

Eine Veranschaulichung gelingt in der Umrechnung des CO2-Ausstoßes in die Größe einer Waldfläche, deren Brandrodung die gleiche Menge CO2 freisetzen würde. Für den Wald in Bayern findet man die Angabe, dass Bäume 27,78 Kilogramm Kohlenstoff pro Quadratmeter speichern (bei Regenwäldern liegt der Wert zwischen 12 und 40 Kilogramm). Mit diesem Wert kommt man z. B. für die 2016 in Deutschland geförderten 171,5 Millionen Tonnen Braunkohle mit einem durchschnittlichen Kohlenstoffanteil von 60 Prozent auf eine Waldfläche von rund 3.700 Quadratkilometer. Zum Vergleich: Das Ruhrgebiet hat eine Ausdehnung von 4.435 Quadratkilometern. Die weltweite Steinkohleförderung von 7.153 Millionen Tonnen im Jahr 2014 (7,153 × 1012 kg) entspricht sogar dem Kohlenstoffgehalt einer Waldfläche, die halb so groß wie Frankreich wäre. Das gesamte CO2, das bei der Verbrennung entsteht, reichert sich nur teilweise in der Atmosphäre an. In der Natur existieren viele sogenannte Kohlenstoffsenken, in denen das CO2 aus der Atmosphäre „verschwindet“. Eine davon sind die Ozeane, die durch die Aufnahme von CO2 immer mehr versauern. Die globale Biomasseproduktion, für die Algen etwa zu 50 Prozent verantwortlich sind, wird auf ca. 1014 Kilogramm pro Jahr geschätzt. Allerdings erfolgt auch eine Zersetzung von Biomasse in ähnlichem Umfang. Die anthropogenen, also menschengemachten CO2-Emissionen stören dieses natürliche Gleichgewicht.

Ausweitung der Waldflächen

Eine weitere Rechnung lässt sich zur Beseitigung des überschüssigen CO2 in der Atmosphäre durch das Pflanzen neuer Bäume anstellen, wobei von einem vollständigen Stopp menschengemachter CO2-Emissionen ausgegangen werden soll. Um die vorindustrielle CO2-Konzentration wiederherzustellen, müssten aus der Atmosphäre 375 Gramm Kohlenstoff pro Quadratmeter Erdoberfläche entfernt werden. Zusammen mit der Speicherkapazität von 27,78 Kilogramm Kohlenstoff pro Quadratmeter Wald ergibt sich, dass 1,5 Prozent der Erdoberfläche aufzuforsten wären; das ist 22 mal die Fläche von Deutschland oder fast zweimal die Fläche der Europäischen Union. Für eine Einordnung des Ergebnisses hilft der Vergleich mit der insgesamt vorhandenen Waldfläche: Bei rund 30 Prozent Landflächenanteil, von dem wiederum rund 30 Prozent bewaldet ist, ergibt sich ein Waldflächenanteil von neun Prozent. Es wäre also ein Zuwachs um 17 Prozent erforderlich (mindestens, da CO2 dann aus den Ozeanen in die Atmosphäre übergehen würde). Die wohl bekannteste Initiative zur Pflanzung von Bäumen – „Plant for the planet“ („Pflanzen für den Planeten“) – wurde 2007 von dem damals neunjährigen Schüler Felix Finkbeiner aus Pähl in Oberbayern ins Leben gerufen. In einem Referat entwickelte er die Idee, dass Kinder in jedem Land eine Million Bäume pflanzen könnten. Im Jahr 2008 wurde Felix in ein UN-Gremium für Kinder gewählt und hielt 2011 eine Rede vor den Vereinten Nationen. Eine zentrale Einnahmequelle ist der Verkauf der Schokolade „Die gute Schokolade“.

Bis zum Februar 2018 hat die Initiative nach eigenen Angaben mehr als 15 Milliarden Bäume gepflanzt. Bei einer üblichen Dichte von 500 Bäumen pro Hektar entspricht dies einer Fläche so groß wie Deutschland. Auch wenn es Jahrzehnte dauert, bis nach einer Aufforstung größere Mengen Kohlenstoff gebunden werden, so handelt es sich um einen ernstzunehmenden Beitrag, der leider dadurch geschmälert wird, dass zurzeit so viele Wälder gerodet werden, dass alle drei Jahre eine Waldfläche dieser Größe verschwindet.

Fermi-Aufgabe zur Reduzierung fossiler Energien

Eine drastische Reduktion fossiler Energie wäre im Prinzip möglich, da die Sonne die Erde in wenigen Stunden mit soviel Energie versorgt, wie die Menschheit im ganzen Jahr benötigt, was sich mit weiteren Fermi-Aufgaben nachrechnen lässt. Theoretisch könnte ein vollständig mit Solarzellen bedeckter Südsudan die benötigte Energiemenge bereitstellen. Für die Speicherung der Energie über unterschiedlich lange Zeiträume existieren verschiedene Technologien, die nur konsequent genutzt werden müssten.

Fazit

Wenn zügig eine kohlenstofffreie Energieversorgung hergestellt sowie auf die weitere Rodung von Regenwäldern und Trockenlegung von Mooren verzichtet wird, besteht Hoffnung, dass sich durch Aufforstungen und andere Maßnahmen das überschüssige CO2 noch rechtzeitig wieder aus der Atmosphäre entfernen lässt.

Prof. Dr. Daniel Gembris


Über den Autor:

Prof. Dr. Daniel Gembris ist Physiker und Dozent für Mathematik und naturwissenschaftliche Grundlagen an der Staatlichen Studienakademie Dresden der Berufsakademie Sachsen.


Link- und Literaturtipps:


Download-Material:

Hier finden Sie das Download-Material zu dem Artikel „Plant for the planet – Fermi-Aufgaben zur Veranschaulichung der CO2-Emissionen“ aus dem MINT Zirkel  03/18. (mit einer Diskussion einer 2019 veröffentlichten wissenschaftlichen Studie über Aufforstung als Maßnahme zum Klimaschutz). http://dx.doi.org/10.1126/science.aax0848


MINT auf dem Acker: Wie ein praxisnaher Lernort in der Natur entsteht

Auf der eigenen Ackerfläche entwickeln Kinder nicht nur mehr Wertschätzung für Natur und Lebensmittel, die Lehrkräfte können hier zahlreiche Unterrichtsinhalte anschaulich vermitteln. Die GemüseAckerdemie unterstützt sie dabei: Im Laufe eines Jahres bauen die Schülerinnen und Schüler bis zu 30 verschiedene Gemüsearten auf dem eigenen Acker an.

 

Radieschen aussäen, den Acker mulchen oder Kartoffeln einpflanzen – all das ist für viele Schülerinnen und Schüler heute völliges Neuland. „Immer weniger Kinder und Jugendliche wissen, wo Lebensmittel herkommen oder haben schon einmal selber Gemüse angebaut“, erklärt Dr. Christoph Schmitz. Kinder und Jugendliche verlieren zunehmend den Bezug zu Natur, Umwelt und Landwirtschaft – und damit sinkt auch ihre Wertschätzung für Nahrungsmittel: Über 30 Prozent der Lebensmittel in Deutschland werden weggeworfen – laut Ernährungsreport 2018 vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) überproportional viele in Haushalten mit Kindern. Gleichzeitig begünstigt diese Entfremdung von der Natur ein ungesundes Ernährungsverhalten. Übergewicht und Diabetes nehmen bei Kindern kontinuierlich zu. Wer schon einmal einen kleinen Möhrensamen dabei begleitet hat, wie er nach und nach zu einer knackigen Möhre geworden ist, weiß, wie viel Zeit und Mühe das kostet. Genau da setzt das BNE-Bildungsprogramm GemüseAckerdemie an, das Schmitz entwickelt und 2013 an der ersten Schule getestet hat: „Egal, wie die Möhre am Ende aussieht, sie wird gegessen. Die Kinder würden niemals auf die Idee kommen, ihr selbst angebautes Gemüse wegzuwerfen“, so Schmitz über die Wirkungsweise des vielfach ausgezeichneten Programms. Bis zu 30 verschiedene Gemüsearten bauen die Schülerinnen und Schüler dabei innerhalb eines Jahres auf ihren Äckern an und hegen und pflegen sie von der Aussaat bis zur Ernte. Als GemüseKlasse können die Lehrkräfte mit ihren Schülerinnen und Schülern auch direkt im Klassenzimmer Gemüse anbauen und die Lehrplanthemen praxisnah am Gemüsebeet vermitteln. Um ein reflektiertes und nachhaltiges Konsumverhalten bei den Kindern zu verankern, wird das Programm von vielseitigen Bildungsmaterialien abgerundet. 2019 ackern knapp 19.000 Kinder an mehr als 450 Kitas und Schulen bundesweit mit der GemüseAckerdemie.

Mehr Wertschätzung für Natur und Lebensmittel

An fast jeder Schule oder in der unmittelbaren Nähe findet sich eine Fläche, auf der Gemüse angebaut werden kann. Auf dem Acker kommen die Kinder der Natur wieder nahe. Er wird als pädagogischer Lernort genutzt. Hier lernen sie nicht nur Gemüse kennen, sondern nehmen einen Regenwurm in die Hand und erfahren, warum er für den Anbau wichtig ist. Darüber hinaus setzen sie sich damit auseinander, wie Tomaten vom Acker über den Handel auf ihren Teller kommen. Doch die Schülerinnen und Schüler erwerben nicht nur neues Wissen rund um Lebensmittel. Sie beginnen vorausschauend zu denken, die Arbeit aufzuteilen, Verantwortung zu übernehmen, geduldiger zu werden. Und: Mit dem Scheitern umzugehen, wenn eine lang gehegte Pflanze eingegangen ist. Diese Sozialkompetenzen erwerben sie beim Unkraut jäten oder Tomaten ausgeizen. Besonders positiv kann sich das Ackern auch auf Kinder auswirken, die im regulären Unterricht auffällig sind. „Mein schönstes Erlebnis war, dass ein recht problematischer Schüler seine Erfüllung in der GemüseAckerdemie gefunden hat und die ganzen Sommerferien zur Verfügung stand“, berichtet eine Lehrerin.

Unterricht mit Praxisbezug

Die Aktivitäten auf dem Acker ermöglichen in vielen Fächern einen Praxisbezug. Die begleitenden Bildungsmaterialien der GemüseAckerdemie liefern dafür Angebote: So können die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel in einem Experiment den Sauerstoffgehalt des Bodens erforschen, den Verbrauch von virtuellem Wasser oder die Produktionskosten von bestimmten Lebensmitteln berechnen. Die Lehrkräfte am Gymnasium am Kattenberge in Buchholz in der Nordheide haben dafür ein didaktisches Konzept entwickelt. „Wir verknüpfen den Acker mit verschiedensten Unterrichtsfächern, zum Beispiel in Physik bei der Einführung des Energiebegriffs, in Chemie für Experimente mit Kartoffelstärke oder in Mathe zum Berechnen von Ernteerträgen und Wasserverbrauch mit dem Dreisatz“, erzählt Lehrer Tim Danker. Gemeinsam mit 19 Kolleginnen und Kollegen betreut er die 2,4 Hektar große Ackerfläche an dem Gymnasium, das auch MINT-EC-Schule ist. Der Acker wird so vielerorts von der gesamten Schule genutzt und stärkt auch den Gemeinschaftssinn. „Unser Acker ist ein Projekt, das viele verbindet: Lehrende, Schülerinnen und Schüler, Eltern und Externe. Wir haben am Wochenende zusammen Aktionen gemacht, etwa die Ackerfläche umzäunt“, erzählt Tim Danker. „Der Acker ist eine Möglichkeit, Schule ein bisschen zu verändern und hat ein Riesen-Potenzial.“

Lydia Ruwe

Die Bildungsprogramme der GemüseAckerdemie im Überblick

AckerSchule
Ein GemüseAcker wird als fester Lernort auf dem Schulgelände etabliert und über Bildungsmaterialien in den Unterricht integriert. Bis zu 30 Gemüsearten bauen die Schülerinnen und Schüler innerhalb eines Jahres an und erfahren so, wo unsere Lebensmittel herkommen und welche Bedeutung die Natur als Lebensgrundlage für uns hat.

Unterstützung für die Lehrkräfte
– Drei Fortbildungen
– Vollständige Ausstattung mit Saatund
Pflanzgut
– Unterstützung bei den Pflanzungen
– Tutorials im Login-Bereich und wöchentliche „AckerInfos“ per Mail mit Tipps und Tricks
– Umfangreiche Bildungsmaterialien und praktische Übungsanregungen

www.gemueseackerdemie.de

GemüseKlasse
In speziellen Indoor-Beeten bauen Schülerinnen und Schüler 20 Wochen lang Gemüse direkt im Klassenzimmer an und setzen sich spielerisch mit
Pflanzenwachstum, Lebensmittelverschwendung und Sortenvielfalt auseinander. Die Themen orientieren sich am Rahmenlehrplan für Sachunterricht. Im Fokus stehen 3. und 4. Klassen.

Unterstützung für die Lehrkräfte
– Komplette Beet-Sets inklusive Saat- und Pflanzgut
– Unterstützung bei der Bepflanzung
– Tutorials im Login-Bereich und wöchentliche „GemüsePost“ per Mail mit Tipps und Tricks
– Umfangreiche Bildungsmaterialien und praktische Übungsanregungen

www.gemueseklasse.de

 

Neues vom Mond

Vor fünfzig Jahren fand die erste bemannte Mondlandung statt – und nur drei Jahre später die bislang letzte. Doch die Forschung hörte nicht auf: Raumsonden haben dem Mond seitdem immer neue Geheimnisse entlockt.

 

Im August 1976 startete die sowjetische Raumsonde Luna 24, die auf dem Mond mit einem Greifarm eine Probe einsammelte und in einer kleinen Rakete zurück zur Erde schickte. Mit insgesamt drei Sonden holte die Sowjetunion rund 300 Gramm Mondgestein zur Erde. Die amerikanischen Apollo-Missionen hatten seinerzeit längst mehr als das Tausendfache geliefert, nämlich gut 380 Kilogramm Mondgestein. Doch Luna 24 markiert einen wichtigen Einschnitt: Nach ihr dauerte es fast ein Vierteljahrhundert, ehe überhaupt wieder eine Raumsonde zum Mond geschickt wurde. Seit den frühen 1990er-Jahren hat die Erkundung des Mondes wieder Fahrt aufgenommen. Neben der alteingesessenen NASA starteten zudem auch Japan, Europa, Indien und China innerhalb weniger Jahre ihre ersten Mond-Sonden. All diese Missionen brachten Erkenntnisse, die selbst den von 1969 bis 1972 gelandeten Astronauten nicht zugänglich waren.

Tückische Schwerkraft

Ein solches Rätsel bekamen die Astronauten der Mission Apollo 15 am eigenen Leib zu spüren. Am Abend des 29. Juli 1971 hatte die Triebswerkszündung, mit der ihr Raumschiff in die Mondumlaufbahn eingeschwenkt war, eine elliptische Umlaufbahn von 108,9 Kilometern im mondfernsten Punkt – dem Apocynthion – und 17,6 Kilometern im mondnächsten Punkt – dem Pericynthion – ergeben. Wie man aus früheren Mondflügen wusste, gibt es örtliche Unregelmäßigkeiten im Schwerkraft-Feld des Mondes mit dem Spitznamen Mascons, englisch abgekürzt für „Massenkonzentrationen“. Diese unregelmäßig verteilten Flecken größerer Schwerkraft verzerren die Umlaufbahnen von Sonden und Raumschiffen um den Mond. Den Astronauten wurde mitgeteilt, dass die Mascons das Pericynthion ihrer Umlaufbahn über Nacht voraussichtlich von 17,6 auf 16,1 Kilometer absinken lassen würde. Am Morgen erfuhren sie jedoch, dass ihr Pericynthion ganze zwei Kilometer weiter abgesunken war als erwartet, nämlich auf 14,1 Kilometer. Eine Korrektur der Umlaufbahn, die am Vorabend noch unnötig schien, war deshalb erforderlich. Ganze 40 Jahre später, Ende 2011, erreichte ein Paar Raumsonden namens GRAIL-A und GRAIL-B den Mond, um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen. Mit GRAIL übertrug die NASA das erfolgreiche Konzept der deutsch-amerikanischen Erdbeobachtungs-Mission GRACE auf den Mond. Die beiden GRAIL-Sonden umkreisten den Mond im Abstand von etwa 200 Kilometern hintereinander in einer polaren Umlaufbahn. Mit Radartechnik konnten Veränderungen im Abstand zwischen den Sonden auf weniger als einen Zehntausendstel Millimeter pro Sekunde genau überwacht werden. Überflogen die beiden Sonden eine Mascon mit örtlich stärkerer Schwerkraft, wurde die vorausfliegende GRAIL-A zunächst stärker beschleunigt, wodurch der Abstand zwischen den Sonden leicht wuchs. Nach dem Vorbeiflug jedoch verlangsamte die Mascon GRAIL-A wieder, während sie GRAIL-B noch beschleunigte, sodass der Abstand zwischen den Sonden wieder schrumpfte. Auswertungen dieser wiederkehrenden, charakteristischen Veränderungen im Abstand zwischen den Sonden erlaubten es, das Schwerefeld des Mondes mit nie dagewesener Präzision zu kartieren. Zum einen konnte GRAIL den Ursprung der Mascons aufklären: Sie entstanden durch gewaltige Einschläge von Asteroiden in der Frühzeit des Mondes, als er noch sehr heiß war. Die Einschläge komprimierten das Gestein und ließen es in einem Zustand größerer Dichte erstarren als die Umgebung – eine lokale Anomalie mit größerer Anziehungskraft.Zum anderen bestätigte GRAIL die Existenz von stabilen Umlaufbahnen, die vor Verzerrungen durch die Mascons sicher sind. Diese „frozen orbits“ liegen bei Neigungen von 27°, 50°, 76° und 86° zum Mondäquator.

Neuer Antrieb und eisige Pole

Mit SMART-1 brachte die Europäische Raumfahrtagentur ESA im Jahr 2003 ihre erste Sonde zum Mond. Der Flug war einer der ersten Tests eines solar-elektrischen Antriebs, auch Ionenantrieb genannt. Dieser beschleunigt mit Solarenergie einzelne Ionen eines Treibstoffs – meist ein Edelgas – in einem elektrischen Feld und beschleunigt sie von der Raumsonde weg. Der Rückstoß dieser Atome bietet dank der Impulserhaltung einen gegenüber chemischer Verbrennung enorm effizienten Antrieb. Dafür ist er sehr schwach: Mit einer Schubkraft von nur 67 Millinewton brauchte es ganze 14 Monate, um SMART-1 zum Mond zu bringen – für eine Strecke, die konventionelle Raketen in wenigen Tagen zurücklegen. Aktuell bringt der bislang stärkste Ionenantrieb im All, mit einer maximalen Schubkraft von 290 Millinewton, die ESA-Sonde BepiColombo innerhalb von sieben Jahren zum Merkur. SMART-1 lieferte auch die ersten Detailaufnahmen der Mond-Pole. Da die Drehachse des Mondes nur um 1,5° gegen die Ekliptik geneigt ist, gibt es dort sowohl Bergspitzen, die fast immer im Sonnenlicht liegen, als auch Krater in ewiger Dunkelheit. Mit Temperaturen von bis zu -240 °C bilden deren Kraterböden „cold traps“, in denen große Mengen Wassereis vermutet wurden. Die erste indische Mond-Sonde Chandrayaan-1 konnte ab 2008 solche Vorkommen nachweisen, indem sie Infrarotstrahlung auf die Mondoberfläche aussandte und im reflektierten Spektrum charakteristische Absorptionslinien von Wassermolekülen fand.

Wasser aufgewirbelt

Einen im wahrsten Wortsinn schlagenden Beweis lieferte schließlich die NASA-Mission LCROSS im Jahr 2009. Sie bestand aus einer Sonde, die ihrer eigenen, ausgebrannten oberen Raketenstufe hinterherflog, während diese gezielt in einen Krater am Südpol einschlug. LCROSS durchquerte die durch den Einschlag der Rakete aufgewirbelte Wolke, analysierte sie mit Kameras und Spektrometern und übermittelte die Resultate zur Erde, ehe sie selbst sechs Minuten später zerschellte. Inzwischen gilt es als gesichert, dass an den Polen des Mondes etliche Millionen Tonnen Wassereis lagern – ein unwiderstehliches Ziel für kommende Mondlandungen.


 

Michael Büker ist Diplom-Physiker und arbeitet als Buchautor, Podcaster, Wissenschaftsjournalist, Science Slammer, und Kommunikator mit den Schwerpunkten Astrophysik, Raumfahrt, Teilchenphysik und nukleare Abrüstung. Sein aktuelles Buch „Was den Mond am Himmel hält“ ist soeben erschienen.

 

Link- und Literaturtipps:

  • Detaillierte Mondkarte mit Fotos und Messdaten zum Durchscrollen quickmap.lroc.asu.edu
  • Kommentierte Transkripte der Funksprüche aller Apollo-Missionen history.nasa.gov/afj/
  • Michael Büker: Was den Mond am Himmel hält. Der etwas andere Streifzug zu unserem kosmischen
    Begleiter. Stuttgart: Kosmos 2019.