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Spazieren gehen für die Wissenschaft

Schmetterlinge mag eigentlich jeder Mensch. Sie sind beliebt und ein Sinnbild für Sommer, Leichtigkeit und Schönheit. Man findet sie nicht nur im Original in der freien Natur, sondern auch auf Werbeprospekten, als Tattoos oder als Logo für unterschiedliche Produkte. Gleichzeitig sind Schmetterlinge auch in der Wissenschaft – und hier besonders in der Ökologie – sehr beliebt, da sie bei bestimmten Fragestellungen als Indikatoren (= Zeiger­arten) herangezogen werden können.

Weil Schmetterlinge so beliebt sind, sind viele Menschen bereit, sich für ihren Schutz einzusetzen und sich an Zählaktionen zu beteiligen. In Deutschland gibt es dazu die Möglichkeit, sich an dem Projekt „Tagfalter-Monitoring Deutschland“ zu beteiligen. In diesem sogenannten „Citizen-Science-Projekt“ zählen ehrenamtliche Schmetterlingsfreundinnen und -freunde jedes Jahr auf den gleichen Strecken von April bis September einmal wöchentlich Schmetterlinge.

Die erhobenen Daten werden am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Halle gesammelt und ausgewertet. Unter „Citizen Science“, oder auf Deutsch etwas sperrig „Bürger-Wissenschaften“, versteht man Projekte, bei denen alle die Möglichkeit haben, die Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu unterstützen und so neue Erkenntnisse zu gewinnen. In Deutschland gibt es mittlerweile zahlreiche Projekte mit Bürgerbeteiligung, so kann man beispielsweise den Sternenhimmel beobachten, Mücken zählen, Kunstwerke beschreiben oder eben auch Schmetterlinge zählen. Einen guten Überblick über diese „Citizen-Science-­Projekte“ gibt die Webseite www.buergerschaffenwissen.de.

Daten sind die Basis für die Wissenschaft

Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Projektes „Tagfalter-Monitoring Deutschland“ nehmen an dem Projekt teil, weil sie den Eindruck haben, dass es in ihrer Jugend viel mehr Schmetterlinge gab. Nun möchten sie erfahren, warum das so ist und zum Schutz der Arten beitragen. Ein standardisiertes Monitoring ist hier eine gute Methode, um festzustellen ob, und wenn ja, in welchem Umfang die Arten zurückgegangen sind. Daten, die über einen langen Zeitraum und möglichst immer an den gleichen Stellen erhoben wurden, bilden die Basis für fundierte wissenschaftliche Auswertungen. Sie geben Auskunft darüber, wie sich die Bestände entwickelt haben und können mit anderen Langzeitdaten (z. B. Klimadaten, Daten zum Landnutzungswandel) in Zusammenhang gebracht werden. Will man die Arten effektiv schützen, so ist es wichtig zu verstehen, welche Faktoren sie bedrohen oder auch begünstigen. Zur Erhebung der Daten kann jeder beitragen, ganz einfach, indem man „spazieren geht“ und dabei die Schmetterlinge notiert, die man sieht.

Tagfalter und Nachtfalter

Aber zurück zu den Schmetterlingen. In der Biologie unterscheidet man zwischen Tag- und Nachtfaltern. Tagfalter sind die meist großen und bunten Schmetterlinge, die tagsüber im Garten oder auf den Wiesen fliegen. In Deutschland unterscheidet man 140 verschiedene Tagfalter-Arten. Die Gruppe der Nachtfalter ist dagegen deutlich größer, es gibt ca. 3.600 verschieden Arten, die zu ganz unterschiedlichen systematischen Gruppen gehören. Meist spricht man hier von Motten, aber es gibt auch große Schwärmer-Arten, winzig kleine Zünsler- oder bunte Eulenfalter-­Arten. Die meisten sind nachtaktiv, aber es gibt auch einige tagaktive Nachtfalter.

 

Abb. 1: Fühler der Tagfalter mit der klassischen keulenförmigen Verdickung © Erk Dallmeyer

 

Die Einteilung der Falterarten in die verschiedenen Gruppen erfolgt anhand der biologischen Systematik. Die Arten werden danach eingeteilt, wie ähnlich sie sich äußerlich (morphologisch), innerlich (anatomisch) sowie hinsichtlich ihrer Entwicklung (ontogenetisch) sind. Um Tag- von Nachtfaltern unterscheiden zu können, gibt es ein einfaches Merkmal. Alle Tagfalter haben Fühler, deren Enden keulenförmig verdickt sind (siehe Abb. 1). Die Fühler von Nachtfaltern können ganz unterschiedlich aussehen, zum Beispiel fadenförmig, fächerförmig, sehr lang oder sehr kurz, aber nie mit verdickten Füh­­ler­enden (siehe Abb. 2). Die Gruppe der Tagfalter ist also überschaubar und deshalb sehr gut für ein „Citizen-­Science-­Projekt“ geeignet. Zudem gibt es gute Bestimmungsbücher, auch Anfänger können sich so relativ schnell die Kenntnis der Arten aneignen.

 

Fuehler-Nachtfalter

Abb. 2: Fühler der Nachtfalter sind nie keulenförmig verdickt © Rosemarie Kappler

 

Tagfalter zählen für die Wissenschaft

Für die Ökologie sind Tagfalter deshalb so interessant, weil sie gute Indikatorarten sind. Ihre An- oder Abwesenheit auf einer Fläche kann Zeiger dafür sein, wie es insgesamt mit der Biodiversität (= Artenvielfalt) der Fläche bestellt ist. Theoretisch könnte man auch andere Insekten als Indikatorarten verwenden. Auch Käfer, Zikaden oder Wanzen wären dazu gut geeignet. Diese Arten sind jedoch viel schwieriger zu bestimmen als Tagfalter und bei weitem nicht so beliebt wie die bunten Frühlingsboten.

Die im Tagfalter-Monitoring gesammelten Daten geben der Wissenschaft wichtige Hinweise darauf, wie sich die Zahl der Falter über die Jahre hinweg entwickelt. Ist es tatsächlich so, dass Schmetterlinge immer seltener werden? Und wenn ja, warum ist das so? Die ersten Ergebnisse des Tagfalter-Monitorings zeigen, dass sich einzelne Tagfalter-Arten ganz unterschiedlich entwickeln. Es gibt Arten, die seltener geworden sind, es gibt aber auch einige, deren Bestände stabil geblieben sind und einige wenige Arten sind mittlerweile tatsächlich häufiger. Allerdings werden erst seit 2005 Tagfalter in Deutschland systematisch gezählt und es ist sehr wahrscheinlich, dass der stärkste Rückgang bereits viele Jahre vorher stattgefunden hat. Vergleicht man historische Beschreibungen von Schmetterlingskundlern aus dem 19. Jahrhundert mit der heutigen Situation, so sind manche der damaligen Beschreibungen heute unvorstellbar. Man findet Beschreibungen von „Wolken von Schmetterlingen“ und heute extrem seltene Arten werden als „überall häufig“ beschrieben.

 

Abb. 3: Der Zitronenfalter ist einer der ersten Tagfalter, den man im Frühjahr beobachten kann © Joachim Müncheberg

Der Rückgang der Insekten ist dramatisch

Aber nicht nur die Tagfalter werden seltener, sondern die Insekten insgesamt. Dies belegt eine Studie, bei der Entomologen (= Insektenkundler) über 27 Jahre hinweg in ihrer Freizeit Insektenfallen an verschiedenen Orten in Deutschland aufgestellt und die gefangenen Insekten ausgewertet haben. Sie konnten zeigen, dass die Biomasse der Fluginsekten in den Fallen, also alle in den Fallen gefangene Tiere zusammengefasst, deutlich abgenommen hat. Insgesamt konnten sie nach 27 Jahren mehr als 75 Prozent weniger Biomasse in den Fallen nachweisen, ein dramatischer Rückgang. Nun mag der eine oder die andere denken, dass es doch gar nicht so schlecht ist, wenn es im Sommer zum Beispiel weniger Mücken oder Wespen gibt.

Insekten sind jedoch die artenreichste Tiergruppe und einer der Grundpfeiler unseres Ökosystems. Sie dienen zahlreichen anderen Tierarten (Vögel, Fledermäuse, Frösche …) als Nahrung und sie bestäuben viele Pflanzen. Fehlen also die Insekten, so fehlen bald auch viele andere Tier- und Pflanzenarten. Für den Menschen wird insbesondere das Fehlen von bestäubenden Insekten eine enorme Auswirkung haben. Denn viele Pflanzen, die unsere Ernährung sichern, werden von Insekten bestäubt.

Warum werden Insekten immer seltener?

Warum die Zahl der Insekten in den letzten Jahrzehnten so stark zurückgegangen ist, konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch nicht eindeutig erklären. Dazu fehlen ihnen einfach die Daten. Eine Reihe von Faktoren sind möglich wie zum Beispiel der Einsatz von Pestiziden und Dünger, die aktuelle Landnutzung und die Veränderung der Landnutzung über die Jahrzehnte hinweg oder der Klima­wandel. Wissenschaftliche Analysen können jedoch nur für Faktoren gemacht werden, für die ausreichend Daten vorliegen. Es scheint sehr wahrscheinlich, dass Klima­wandel und Land­nut­zungs­än­de­run­gen zwar auch Auswirkungen auf die Insekten­bestände haben, der entscheidende Faktor für den Rückgang jedoch der großflächige Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft sowie eine Über­dün­gung der Flächen ist. Hier konnten bislang leider nur Korrelationen und (noch) keine Kausalitäten belegt werden. Korrelationen zeigen an, ob zwei Faktoren sich gemeinsam verändern. Ob es jedoch Wechselwirkungen zwischen diesen Faktoren gibt, ist damit noch nicht gesagt.

Der Einfluss des Klimawandels auf die Tagfalter

Auch wenn in den Medien manchmal der Eindruck entsteht, dass es immer noch unsicher ist, ob es menschengemachten Klimawandel überhaupt gibt, so ist dies doch für mehr als 90 Prozent der Expertinnen und Experten, die sich mit diesem Thema beschäftigen, ein Fakt. Durch den erhöhten Ausstoß von Kohlendioxid hat sich unsere Atmosphäre in den letzten Jahrzehnten rapide erwärmt und die Erwärmung fand in einem viel kürzeren Zeitraum und deutlich stärker statt als jemals zuvor in der Geschichte. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf die Tiere und Pflanzen. Ökologinnen und Ökologen haben zur Ermittlung dieser Auswirkungen einen Index entwickelt. Der CTI (= Community Temperature Index) wurde zunächst für Vögel, dann aber auch für Tagfalter und andere Tierarten berechnet. Die Berechnung erfolgt, indem für jede Art zunächst der STI (= Species Temperature Index) errechnet wird. Bei den Tagfaltern schaut man sich hier die Verbreitung der Art an und die durchschnittliche Temperatur in dem Verbreitungsgebiet. Dazu wird ein Raster über das Verbreitungsgebiet einer Art gelegt und anhand von Klimadaten die durchschnittliche Temperatur der Kartenraster errechnet, in denen diese Art vorkommt. Für jede Art ergibt sich also ein durchschnittlicher Temperaturwert (STI).

 

KlimatischeSchuld

Abb. 4: Die Folgen dieses Effektes sind derzeit noch nicht abzusehen

 

Dann schaut man sich die Artgemeinschaft in einem bestimmten Gebiet an und ermittelt den durchschnittlichen Wert des STI für alle anwesenden Arten (CTI). Der so errechnete CTI wird dann über mehrere Jahre hinweg für die Artengemeinschaft errechnet und ermöglicht Aussagen dazu, ob und wenn ja, in welchem Ausmaß sich die Artengemeinschaft verändert hat. So konnte gezeigt werden, dass sich wärmeliebende Tagfalterarten in Europa immer weiter nach Norden ausbreiten. Ein großes Problem tritt hier jedoch auf. Die durchschnittliche Temperatur Richtung Norden erhöht sich pro Jahr schneller als die Tiere hinterher wandern können (klimatische Schuld).

Elisabeth Kühn

Weitere Informationen

Linktipps
Das Projekt „Tagfalter-Monitoring Deutschland“ ist ein „Citizen-Science-­Projekt“, bei dem jeder mitmachen kann.
www.tagfalter-monitoring.de

Die Lernsoftware PRONAS (PROjektionen der NAtur für Schulen) vermittelt For­schungs­ergeb­nisse zum Einfluss des Klima­wandels auf die biologische Viel­falt. Diese basieren auf dem vom UFZ koordinierten internationalen Forschungsprogramm ALARM (A LArge scale Risk assessment for biodiversity with tested Methods).
www.alarmproject.net
www.ufz.de/pronas-lernsoftware

Unterrichtsmaterialien zur Lernsoftware PRONAS finden Sie hier: www.bit.ly/2F699R2

Literatur
Devictor et al. (2012): Differences in the climatic debts of birds and butterflies at a continental scale. Nature Climate Change 2.2, 121–124.
Hallmann et al. (2017): More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLOS ONE.

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